Die ‚Identitäre Bewegung‘ wollte also mal wieder eines ihrer fast jährlichen Großereignisse veranstalten – diesmal in Halle, ausgehend von ihrem zum ‚Leuchtturmprojekt‘ deklarierten, aber primär als isolierte Kaderschmiede fungierendem Haus. Man kann davon ausgehen, dass die angekündigte Kombination aus Demonstration und Sommerfest dem Haus neues Leben einhauchen und als Signal der Stärke für die eigenen Kadern und potenzielle Geldgeber_innen für ähnliche Projekte in Linz und Rostock fungieren sollte. In Anbetracht der Tatsache, dass die ‚Identitären‘ keinen Meter laufen konnten, ist dieser Versuch kläglich gescheitert.
Dafür haben neben den von Antifaschist_innen auf die Straße gebrachten Blockaden unserer Meinung nach zwei weitere Faktoren gesorgt: Zum einen schien die Einsatzleitung der Polizei wenig Lust darauf zu haben, ebendiese Blockaden zu verhindern oder zu räumen. Daraus zu schlussfolgern, dass die Polizei irgendwelche Antipathie für die ‚Identitären‘ empfinden würde oder man ihnen nun Dank aussprechen müsste, ignoriert, dass wahrscheinlich primär einsatztechnische Überlegungen und Lust auf einen vergleichsweise stressfreien Tag der Hauptgrund für dieses Verhalten war.
Zum anderen sinkt nicht nur die allgemeine Relevanz der ‚Identitären‘, sondern auch die Teilnehmerzahl bei Großveranstaltungen wie am Samstag, konstant. Ein Vergleich zwischen den Großdemos in Wien und Berlin der vergangenen Jahre und dem Event am Samstag zeigt klar, dass die ‚Identitären‘ nicht nur ihre Social-Media-Kanäle, sondern allgemein ihre Anziehungskraft verloren haben. Europas angeblich am schnellsten wachsende Jugendbewegung bestand am Samstag aus maximal 300 Personen, von denen große Teile entweder langjährig aktive Kader der vermeintlichen „Bewegung“ oder schon lange nicht mehr jugendliches rechtes Publikum waren, das man auch Montags in Dresden oder auf der nächstbesten AfD-Demo antreffen könnte. Den „Identitären“ selbst scheint der Verlust des eigenen Mobipotenzials ebenfalls klar gewesen zu sein, wenn man sich die bereits im Vorfeld massiv verkürzte geplante Route durch das Bebelviertel, die man normalerweise in 10 Minuten zu Fuß zurück legen kann, ansieht.
Umso lächerlicher wirkt Till-Lucas Wessels für die Sezession vorgetragene Behauptung, es sei groß, heiß und schön und vor allem alles genau so geplant gewesen. Wenn man denn von Anfang an mit einer unkooperativen Versammlungsbehörde und Blockaden rund um das Haus gerechnet habe, wie Wessels behauptet, warum genau hat man sich denn dann auf dieses Spiel eingelassen? Wenn sowohl Altfaschos wie Sven Liebich, die ja nun wirklich nicht mit taktischer Brillianz glänzen können, als auch wir selbst erfolgversprechendere Alternativrouten zum Beispiel von der Neustadt aus sehen konnten, wie kurzsichtig und planlos muss dann der Organisatorenkreis der Identitären sein? Amüsant ist auch die Behauptung, aller Organisationsaufwand sei von Anfang an auf das Sommerfest gerichtet gewesen – eine Behauptung, die ein Blick auf das Mobimaterial der Identitären, auf dem in fettem Blocksatz überall „Demonstration“ steht, als Lüge entlarvt. Und selbst wenn man von Anfang an primär ein schönes Sommerfest hätte planen wollen und deshalb das tolle Essen, die guten Getränke und die angeblich ausgelassene Stimmung als Erfolg sehen will, sollten die ‚Identitären‘ noch mal überlegen, ob sie nicht vielleicht den Anspruch, eine politische Bewegung sein zu wollen, nun endgültig aufgeben und stattdessen lieber einen Partyservice für Rechte aufmachen sollten.
Die Kommentarspalte unter dem im klassischen Wessels-Stil geschriebenen Artikel, der Pathos mit literarischer Schreibfähigkeit verwechselt, offenbart dann auch den Frust der ‚Identitären‘ Gefolgschaft, nicht nur gegenüber der Polizei, der MZ und den Gegendemonstrant_innen, sondern auch gegenüber Wessels und seinen Umdeutungsversuchen der am Samstag erlittenen Niederlage. Die Bruchlinien traten aber nicht nur in den Sezessions-Kommentarspalten, sondern auch in der Mobilisierung und am 20. selbst zu Tage: So ist auffällig, dass weder bei dem Mobistand auf dem halleschen Marktplatz am 06. Juli noch am 20. selbst viele der halleschen Kader zu sehen waren, und die Kader, die wie Wessels, Müller oder Schubert vor Ort waren, untergeordnete und logistische Rollen spielten, während Daniel Fiss und Robert Timm – also externe ‚Identitäre‘ tonangebend waren. Wenn man bedenkt, wie lange sich die Gruppe in Halle als ‚Speerspitze‘ inszeniert hat und auf Aktionen der ‚Identitären‘ wie der Demo in Berlin 2017 tragende Rollen übernommen hat, kann man hier durchaus einen Bedeutungs- und Ansehensverlust der halleschen Gruppe innerhalb der deutschlandweiten ‚Identitären‘ schlussfolgern.
Wir als Kampagne ‚Kick Them Out‘ sind mit dem Anspruch angetreten, keine Aktion der ‚Identitären‘ in Halle ungestört zu lassen. Das hat im Laufe der letzten zwei Jahre großteils ganz gut funktioniert, auch wenn wir teilweise nur in Kleingrüppchen mit den Mitgliedern der Anwohner_innen-Initiative vor der Adam-Kuckhoff-Straße standen und Besucher_innen anpöbelten. Der 20. Juli hingegen war ein voller Erfolg. Daraus und aus dem allgemeinen Bedeutungsverlust der faschistischen Bewegung und der Schwäche der halleschen Gruppe könnte man nun schlussfolgern, dass es vielleicht Zeit ist, sich ein anderes politisches Betätigungsfeld zu suchen. Aber unser Anspruch war von Anfang an, dass Haus nicht nur zu isolieren, sondern es dicht zu machen. Wir können uns nicht auf dem Erfolg vom Samstag ausruhen, sondern ihn nur als Motivation nutzen, nicht nur ein mal im Jahr und nicht nur zu Großevents sondern immer wieder gegen die ‚Identitären‘ aktiv zu sein.