Wer Kick Them Out als Kampagne und antifaschistische Diskussionen um Konzepte wie die „Meile der Demokratie“ schon länger kennt, mag verwirrt sein, dass ich als Repräsentantin jetzt hier einen Redebeitrag halte. Veranstaltungen wie die „Parade der Vielfalt“ werden zurecht als bürgerlich und Stadtmarketing kritisiert, aber wir sehen sie trotzdem als Chance für uns, antifaschistische und linksradikale Inhalte und Kritik mal ausnahmsweise an ein Publikum zu tragen, dass uns in Teilen nur allzu gerne als gewaltbereite Extremisten ignoriert.
Zu aller erst wollen wir aber festhalten, dass wir trotz inhaltlicher Differenzen die Anwohner_ innen Initiative AKS für ihre kontinuierliche Arbeit schätzen. Als einige der wenigen Initiative der Stadt bemühen sie sich darum, das Haus der IB in der Adam-Kuckhoff-Straße nicht zur Normalität werden zu lassen und scheinen sich mit dem Burgfrieden zwischen Stadt und Faschisten nicht abfinden zu wollen.
Die Anwohner_innen hätten sich wegducken und die Identitären ignorieren können, wie das der Großteil der Bewohner*innen des Viertels immer noch tut, und den Protest als Antifa-Krawallmacherei oder alberne Konflikte zwischen Extremisten diffamieren können. Das habt ihr nicht getan – stattdessen habt ihr euch gerade gemacht, euch vernetzt, eure Initiative gegründet, einen offenen Brief geschrieben und wieder und wieder Veranstaltungen vor dem Haus organisiert. Dafür habt ihr unsere Dankbarkeit. Es tut gut, nicht als Antifa-Initiative alleine auf der Straße zu stehen und nicht zuletzt ist euer Aktivismus auch immer wieder mit persönlichen Risiken verbunden. Neben kleineren, aber trotzdem zermürbenden Einschüchterungsversuchen gab es inzwischen auch körperliche Angriffe auf die Menschen, die sich in der Anwohner_innen Initiative organisieren. Es wäre allzu leicht, sich wegzuducken. Die Anwohner_innen-Initiative tut das aber nicht, und das wissen wir zu würdigen.
Bei aller Dankbarkeit und aller Solidarität bleibt Kritik an den eigenen Verbündeten aber trotzdem notwendig.
Zunächst macht es für uns macht den Anschein, dass die heutige Parade sich perfekt als eine Art Imagekampagne für die Stadtgesellschaft eignet. So können Repräsentant_innen der Stadt wie der Oberbürgermeister, Mitglieder des Stadtrats oder der Uni nicht nur immer wieder bei Veranstaltungen der Anwohner_innen Initiative teilnehmen, sondern dürfen auch aktiv auf ihnen sprechen und sich so als Teil des Kampfes für eine offene, vielfältige Stadt präsentieren. Gleichzeitig halten sie aber konstant die Füße still, statt den Sympathisant_innen der Identitären den verdienten Rauswurf zu präsentieren. So schließt man einen Burgfrieden mit Faschist_innen, präsentiert sich aber gleichzeitig als Vorkämpfer einer weltoffenen Stadt, die sich bei genauerem Hingucken als Luftschloss entlarvt.
Die Anwohner_Innen-Intiative scheint sich dieser Problematik durchaus bewusst zu sein, und hat deshalb entschieden, dass auf der heutigen Demo nur Repräsentantinnen von aktivistischen, eher autonomen Vereinen oder Gewerkschaften wie der FAU sprechen dürfen. Trotzdem eignet sich diese Parade hervorragend im Nachhinein als Zeichen dafür, wie toll, tolerant, bunt und weltoffen Halle ist.
Die Analyse der Anwohner_innen-Initative, was die Verhältnisse in Halle angeht, greift leider jedoch zu kurz. Zwar bennent sie die soziale Ungerechtigkeit und existierenden Rassismus als konstante Probleme in Halle, doch umso seltsamer wirkt es dann, mit den Leuten, die eine massive Mitschuld an den Verhältnissen haben und dazu beitragen, dass politische Elend nur zu verwalten anstatt sich daran zu machen es aus der Welt zu schaffen, gemeinsam auf der Straße zu stehen.
Das ist der Punkt, an dem wir uns fundamental von den Prämissen der Parade der Vielfalt unterscheiden. Die Stadt Halle, in der wir leben, ist kein nettes Vakuum, in das einige Rassismus und Ausgrenzung hineintragen. Es reicht nicht, wenn sich einige oder sogar sehr viele Menschen und Vereine gegen soziale Spaltung und Rassismus engagieren. Es gibt in dieser Gesellschaft, diesem Staat und dieser Stadt keinen neutralen Boden, keinen aushaltbaren Status Quo, um den sowohl die Teilnehmer dieser Parade als auch die Faschos der Identitären Bewegung kämpfen, und den sie nach ihren Ideen zu gestalten versuchen.
In einer kapitalistischen Gesellschaft werden Menschen immer nach ihrer Produktivität bewertet werden. Wer seine Arbeitskraft nicht verkaufen kann oder will, wird immer sozial ausgrenzt und ungerecht behandelt werden. Hartz IV mag zwar ein Am-Leben-Bleiben ermöglichen, aber ein tatsächlich erfülltes oder gar schönes Leben sieht anders aus. Genau dieses schöne Leben steht aber allen Menschen unabhängig davon, ob sie wertvolle produzierende Arbeit leisten, woher sie kommen, welches Geschlecht sie haben, zu. Gleichzeitig wird die seit dem Kolonialismus andauernde Ausbeutung des globalen Südens, in den inzwischen große Teile der prekären Arbeiten verlagert wurden, durch rassistische Narrative gerechtfertigt. Die wenigen, die es sich leisten können, ebendiesen globalen Süden auf der Suche nach einem besseren Leben zu verlassen, werden in Zusammenarbeit mit der EU in libyschen Lagern interniert oder ertrinken im Mittelmeer, und falls sie es doch nach Deutschland schaffen, werden sie konstant als Menschen zweiter Klasse behandelt. Denn der deutsche Nationalstaat und die deutsche Gesellschaft braucht ihr ausgegrenztes Anderes, um sich selbst zu konstituieren.
Und so sind Auch der Rassismus der Identitären, der AfD und der Montagswahnwachen sind keine Ausnahmeerscheinung und nichts, was von außen an die schöne Stadt Halle herangetragen wird, sondern die logische Konsequenz der Strukturen, in denen wir bereits leben. Natürlich arbeiten die Identitären und das Institut für Staatspolitik am faschistischen Umbau der Gesellschaft, und natürlich müssen wir uns dem konstant, entschlossen und auch militant entgegen stellen. Aber sich dem entgegen zu stellen und dafür zu kämpfen, dass wir in einer Stadt ohne Rechtsextreme alle gut leben können, wird nicht reichen. Wir wollen dementsprechend nicht alle Farben des Regenbogen tragens, wir wollen nicht laut und fröhlich sein – wir wollen wütend sein und klar sagen, dass uns das hier nicht reicht.
Als radikale, antifaschistische, linke Kampagne befinden wir von Kick Them Out uns in einem konstanten Spannungsverhältnis. Denn die Veränderungen, die wir erreichen wollen, damit jeder einzelne Mensch ohne Angst verschieden sein kann, können wir nicht alleine erreichen, dafür sind sie viel zu monumental. Gleichzeitig wollen und können wir nicht mit allen Menschen auf die Straße gehen, die sich den Kampf für Vielfalt, Toleranz und Solidarität auf die Fahne schreiben. Wie man bei Großdemos wie Unteilbar in Berlin, aber auch hier in Halle gesehen hat, ziehen solche Demos oft genug Leute und Akteure an, die zwar angeblich eine tolerante, gerechte Gesellschaft wollen, gleichzeitig aber durch ihren Antisemitismus oder ihre SPD-Mitgliedschaft genau diese Gesellschaft verhindern. Als Antifaschistinnen wollen und müssen wir aber letzten Endes zumindest die Teile einer imaginierten, fundamental kritisierenswerten bürgerlichen Mitte, die bereit sind, uns zuzuhören und auf ihren Demos Redebeiträge halten zu lassen, erreichen – auch wenn wir gleichzeitig genau diese Leute für ihre blinden Flecken und ihre teilweise zu kurz gedachten Analysen kritisieren müssen.
Denn die Zustände in Halle lassen sich nicht mit einer Parade der Vielfalt oder ein- bis zweimonatigen Veranstaltungen vor dem Haus der Identitären verbessern, so nötig diese Aktionsformate auch sein mögen. Die Zustände lassen sich insbesondere nicht in Zusammenarbeit mit denen verbessern, die Frank Marchl weiterarbeiten lassen, Teil einer Koalition sind die den Mord an Oury Jalloh unaufgeklärt und ungestraft lassen will, die gleichgeschlechtliche Paare für unfähige Eltern und Homosexualität für heilbar halten oder erneut mehr abschieben und schärfere Strafen fordern für alle, die Abschiebungen nach Afghanistan verhindern wollen.
Diese deutschen Zustände machen uns wütend und wir weigern uns, gute Miene zum bösen Spiel machen. Wir sind unzufrieden mit dem beschissenen Status Quo, den politischen Akteur*innen, die den Status Quo aushaltbar finden, in der Gesamtgesellschaft und in Halle ganz speziell. Wir sind genervt von ewigen Schlichtungsversuchen und schwammig gehaltenen Aufrufen, und von kritischen Zeichen, die sich nur allzu leicht zu einer Imagekampagne für Unternehmen, Parteien, Vereinen und der Stadt umdeuten lässt. Auch sind wir angekotzt davon, dass sich eben die Akteure, die für die Unterdrückungsverhältnisse von beschissenem Lohn und unbezahlten Überstunden bis zu schamloser Zusammenarbeit mit rechten Initiativen verantwortlich sind, hier als Kämpfer für Toleranz und Solidarität darstellen können.
Wir sind Kick Them Out, wir sind AntifaschistInnen und bei aller solidarischen Dankbarkeit und allem Support für die gute Arbeit der Anwohner_innen-Initiative über die letzten Monate reicht uns das hier nicht. Es ist ein hübsches Pflaster auf einer eiternden, ätzenden Wunde, und ein Versprechen, dass sich selbst ad absurdum führt. Denn letztendlich ist die offene Gesellschaft, in der wir ohne Angst verschieden sein können, nicht ohne die Befreiung von Kapital, Volk, Nation und Kleinfamilie möglich. Deshalb: support you local Antifa – bis zum Kommunismus!