Wir haben zur Kenntnis genommen, dass am 15.12.2017 Zusatzschilder für die Adam-Kuckhoff-Straße angebracht werden, die von der AnwohnerInneninitiative Adam-Kuckhoff-Straße und Corax e.V. – Initiative für freies Radio gespendet werden.
Vor vier Monaten gab es schon mal eine Anbringung von Zusatzschildern in der Jahnstraße, bei der die „Halle-Leobener Burschenschaft Germania“ der Spender war. Damals wurde diese Zusammenarbeit von der Gruppe „No Halgida“ kritisiert und erst nach diesem Protest gab es ein Statement der Bürgerstiftung zu dieser Zusammenarbeit. Damals hieß es: „Erst nach Anbringung der Schilder und der damit verbundenen Öffentlichkeitsarbeit sind wir durch kritische Hinweise von Stiftern und Partnern darauf aufmerksam gemacht worden, wie weit entfernt die Halle-Leobener Burschenschaft Germania von den Werten agiert, für die die Bürgerstiftung seit 13 Jahren einsteht und das auch weiterhin tun wird. Es ist unser Versäumnis, die Hintergründe dieser Burschenschaft nicht gründlicher recherchiert zu haben. Wir bedauern dies sehr und distanzieren uns klar von nationalistischem und rassistischem Gedankengut.“ Im gleichen Text werden die Spender und damit die „HLB Germania“ zu einer unterstützenswerten Vielfalt in der Stadt erklärt: „Die […], Spender […] der Bürgerstiftung Halle spiegeln die Vielfalt von Halle wieder, sie leben in unterschiedlichen Stadtteilen und Lebenswelten. Diese Vielfalt schätzen wir und möchten sie weiterhin unterstützen.“ Die vorhergehende Distanzierung wird bis zur Unkenntlichkeit relativiert. Weitere „Konsequenzen“ von Seiten der Bürgerstiftung Halle gab es nicht.
Vier Monate später wird ein neues Schild angebracht, diesmal geht es um den Antifaschisten Adam Kuckhoff. Im Sinne eines neuen deutschen Selbstbewusstsein, ist es eben kein Widerspruch ein Schild zu Ehren eines völkischen Antisemiten und gleichzeitig eines zu Ehren eines antifaschistischen Widerstandskämpfers anzubringen. Das neue deutsche Selbstbewusstsein geht offensiv mit seiner Geschichte um und kann deshalb nicht trotz, sondern wegen der schrecklichen Vergangenheit moralische Überlegenheit simulieren. Die beschworene „bunte Vielfalt“ stellt letztlich nichts weiter dar, als einen attraktiven Standortfaktor und verkommt damit zu Phrase. Täglich sterben Menschen, weil sie wirtschaftlich nicht rentabel sind.
Niemand will heute etwas mit rechten Schmuddelkinder zu tun haben.
Wir möchten an dieser Stelle einige Hintergrundinformationen zu den Spendern des Jahn-Schilds, der HLB Germania, aufzeigen:
Die Germania ist Teil des Dachverbandes der Deutschen Burschenschaften, was bedeutet, dass sich die Mitglieder als „höchste Lebensverpflichtung“ setzen, „für ein deutsches Vaterland zu leben und zu kämpfen“ – weshalb auch nur deutsche Studenten Mitglied der in der Deutschen Burschenschaft organisierten Burschenschaften wie der Germania werden können. Wer deutsch ist und wer nicht, wurde vom Rechtsausschuss des DB 2011 definiert: „Die Deutsche Burschenschaft versteht unter dem deutschen Volk die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Sprache verbunden ist (Art. 9 VerfDB).“
Dieses zutiefst volkstümlich-nationalistische Gedankengut sollte eine Zusammenarbeit mit der Germania für alle Initiativen, Vereine und Stiftungen undenkbar machen. Falls dies nicht reicht, macht ein kurzer Blick sowohl auf die Gäste- als auch Mitgliedsliste der HLB Germania klar, wie sehr die Burschenschaft zur rechtsextremen Szene Sachsen-Anhalts gehört.
Da wäre zum Beispiel Michael Schäfer, inkorporiertes Mitglied der HLB Germania, der außerdem Mitglied der „European White Knights of the Ku Klux Klan“, der militanten „Wernigeröder Aktionsfront“ und der Begründer des „Nationalen Bildungskreis“ der Jungen Nationaldemokraten ist. Ein weiteres Mitglied der Germania ist Chris Wiedemann, der Wahlkreismitarbeiter des AfD-Landtagsabgeordneten Tillschneiders ist. Erst vor kurzem eröffnete Tillschneider ein Büro in der Adam-Kuckhoff-Straße 16, also im Hausprojekt der Faschisten der Identitären Bewegung. Sowohl Mitglieder der Identitären Bewegung als auch Autoren der neurechten Zeitschrift „Blaue Narzisse“ gehen regelmäßig in den Räumen der HLB Germania ein und aus, zum Beispiel 2015 beim Stiftungsfest der HLB. Und auch sonst gibt es direkte personelle Überschneidungen, denn mehrere Mitglieder der Identitären sind Mitglied der Germania, zum Beispiel Philip Thaler, Dorian Schubert, Stephan Kraft und Maximilian Stilling.
Die seit den 90ern aktive Verbindung ist bereits in der Vergangenheit oft durch Verbindungen in die neonazistische Szene aufgefallen: so enagierten sie bereits 2000 den rechtsextremen Liedermacher Frank Rennicke, der die Oder-Neiße-Grenze als eine „Schandgrenze“ bezeichnet und die Wehrmacht verehrt, für eine Veranstaltung, die Mitglieder verschiedener Neonazigruppen aus der Region besuchten. Bei anderen Veranstaltungen im selben Jahr wurde der stadtbekannte Neonazi Sven Liebich, der ehemalige Landesvorsitzende der NPD und der Chef der Gruppe „SelbstSchutz Sachsen-Anhalt“ beobachtet. Die letztgenannte Gruppe, die sich selbst als „SS-SA“ bezeichnet, wurde regelmäßig von der HLB engagiert, um Veranstaltungen auf dem Burschenschaftshaus zu sichern. Dies zeigt, dass die Germania bereits seit ihrer Gründung als Anlauf- und Verbindungspunkt der rechten Szene in Sachsen-Anhalt fungiert und dies kein neues Phänomen ist, das mit den aktuellen Mitgliedern der Burschenschaft erklärt und relativiert werden könnte.
Trotz all dieser, teilweise seit Jahren bekannten und leicht öffentlich zugänglichen, Informationen brachte die Bürgerstiftung mit den Mitgliedern der Germania ein von der Burschenschaft gestiftetes Schild für Friedrich Ludwig Jahn, den wahnhaft-antisemitischen „Turn- und Burschenschaftsvater“, in der Jahnstraße an.
Mit dieser Aktion behandelt die Bürgerstiftung die rechtsextreme Burschenschaft wie jeden anderen gesellschaftlichen Akteur. Genau das ist die HLB Germania aber nicht: Sie ist ein als Vernetzungspunkt fungierender Teil der neonazistischen Szene Sachsen-Anhalts, die die Mitglieder der AfD, der Identitären Bewegung und der offen gewaltbereiten Kameradschaftsszene zusammenbringt. Damit bedroht die HLB Germania die „lebendige demokratische Kultur unter Mitwirkung vieler Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer geografischen, sozialen oder kulturellen Herkunft“, für die sich die Bürgerstiftung laut ihrem eigenen Statement einsetzt. Eine Zusammenarbeit mit der HLB Germania legitimiert diese gesellschaftlich und eröffnet ihr die Möglichkeit, ihr neonazistisches Gedankengut zu verbreiten und sich auch in Zukunft an bürgerlichen Aktionsformen und Initiativen zu beteiligen.
Es ist ein Skandal, dass die Bürgerstiftung außer einer verunglückten Distanzierung zur HLB Germania keine weiteren Konsequenzen aus ihrem Verhalten gezogen hat und nun weiter zur Tagesordnung übergeht, als sei die Zusammenarbeit mit der Burschenschaft ein kleiner Fehler, denn man getrost übergehen kann.
Vier Monate später hängen die Zusatzschilder an der Jahnstraße immer noch, auf denen Jahn wie folgt dargestellt wird: „1778-1852, Student in Halle, Pädagoge, Politiker, Patriot, Gründer der Turnbewegung („Turnvater Jahn“), Wegbereiter der Burschenschaft)“ Kritische Auseinandersetzung gleich null. Immerhin stand Jahn als „Wegbereiter der Burschenschaften“ für eine sehr exklusive Form des Zusammenlebens, sind die Burschenschaften doch nicht für alle Menschen gleichermaßen offen. Es drängt sich die Frage in den Vordergrund, wieso ausgerechnet die HLB Germania Zusatzschilder für eine Straße spendet, die nach so einem Mann wie Jahn benannt ist.
Wir fordern eine Aufarbeitung dieser Anbringung der Zusatzschilder für Jahn und zwar eine, die über ein Statement wie das bereits veröffentlichte hinausgeht. Wir fordern einen konsequenten Antifaschismus, der sich nicht am Standortfaktor „bunte Vielfalt“ orientiert. Viel mehr muss dieser die gesellschaftlichen Missstände ins Visier nehmen, in der es normal ist, dass tagtäglich Menschen in unterschiedlichen schweren Konsequenzen von Ausgrenzung und Wertlosigkeit betroffen sind.
Wer mit faschistischen Partnern zusammenarbeitet, legitimiert diese und trägt dazu bei, dass sie auf gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.